Interview mit Frederic Desbiens zu Eclipse ThreadX

Microsofts Entscheidung, Azure ThreadX an die Eclipse Foundation abzutreten, sorgte für Schockstarre im Markt. Eclipse Foundation-Manager Frederic Desbiens sprach in einem Interview mit mikrocontroller.net unter Anderem über die Zukunft des Betriebssystems, über bevorzugte IDEs und die Arbeit, die mit der Zertifizierung bzw ihrer Aufrechterhaltung einhergeht.

Das vorliegende Interview wurde in englischer Sprache gehalten und vom Autor übersetzt – wer Fragen hat, soll diese als Kommentare zur Weiterleitung posten.

Bitte erzählen Sie uns mehr über sich und Ihr Unternehmen!

Die Eclipse Foundation ist eine europäische Non-Profit-Organisation, die von über 360 Mitgliedern unterstützt wird. Sie bietet Einzelpersonen und Organisationen ein geschäftsfreundliches Umfeld für die Zusammenarbeit und Innovation im Bereich der Open-Source-Software. Die Foundation beherbergt die Eclipse IDE, Jakarta EE und über 415 Projekte, darunter Runtimes, Tools, Spezifikationen und Frameworks für Cloud- und Edge-Anwendungen, Embedded, IoT, AI, Automotive und mehr.

Ich beaufsichtige das Portfolio der Foundation an Embedded-, IoT- und Edge-Computing-Initiativen. Dazu gehören die Eclipse IoT- und Sparkplug-Arbeitsgruppen, die ThreadX-Interessengruppe und über fünfzig Open-Source-Projekte. Meine drei Hauptaufgaben sind die Förderung der Akzeptanz unserer Projekte in unserer Industrie, die Unterstützung unserer von Mitgliedern getragenen Initiativen und die Anwerbung neuer Mitglieder, um unser Ökosystem zu stärken.

Im Jahr 2022 veröffentlichte ich ein Buch mit dem Titel “Building Enterprise IoT Solutions using Eclipse IoT Technologies: An Open-Source Approach to Edge Computing” bei Apress (ISBN: 978-1484288818).

Azure RTOS war eng mit Microsoft verbunden. Wie wird sich diese Situation weiter gestalten, da Microsoft das Projekt nun ja nicht mehr unterstützt?

Microsoft ist ein strategisches Mitglied der Eclipse Foundation und ihrer Arbeitsgruppe Software-Defined Vehicle. Man trägt auch zu mehreren Projekten in vielen Technologiebereichen der Foundation bei, wie z. B. der Eclipse Paho-Sammlung von MQTT-Clients.
Obwohl Microsoft nicht mehr am Eclipse ThreadX-Projekt beteiligt sein wird, ist die Partnerschaft mit der Eclipse Foundation stärker denn je. Darüber hinaus unterstreicht die Tatsache, dass Microsoft sich dafür entschieden hat, ThreadX bei Eclipse als Open Source zu veröffentlichen, das microsoft’sche Vertrauen in die Governancefähigkeiten der Foundation.

Wie lange wird der Übergabeprozess zwischen Microsoft und der Eclipse Foundation dauern? Und was wird mit den bisherigen Mitarbeitern und Ansprechpartnern bei Microsoft passieren? Oder noch deutlicher: Wird Microsoft die Azure RTOS BU auflösen?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Übergabe abgeschlossen. Der vollständige Quellcode von ThreadX ist unter der Kontrolle der Eclipse Foundation und unter der MIT-Lizenz auf GitHub verfügbar. Allerdings befinden wir uns noch in einer Übergangsphase.
Zum Beispiel arbeiten unser Prozessingenieur und ich mit den Eclipse ThreadX Committern zusammen, um die Prozesse zu implementieren, die zukünftige Sicherheitszertifizierungen für ThreadX unterstützen werden. Wir arbeiten auch daran, die bestehende ThreadX-Dokumentation auf die offizielle threadx.io-Website zu migrieren und neue Beispiele zu erstellen, die nicht Azure IoT als Backend verwenden.
Zu Microsofts Plänen für die Azure RTOS BU oder zu seinen Personalentscheidungen kann ich nichts sagen.

Wann wird der Quellcode – z.B. auf GitHub – für die allgemeine Nutzung verfügbar sein?

Der gesamte Quellcode ist bereits hier verfügbar: https://github.com/eclipse-threadx. Der gesamte Inhalt steht unter der sehr permissiven MIT-Lizenz.

Bislang konnten RTOS-Benutzer einen Support-Vertrag mit Microsoft abschließen. Wird dies weiterhin möglich sein? Oder wird die Eclipse Foundation, die eher als Governance Provider für Projekte fungiert, diese Rolle übernehmen?

Weder Microsoft noch die Eclipse Foundation werden Support-Verträge für Eclipse ThreadX anbieten.
Mehrere unserer Mitgliedsunternehmen bieten Entwicklungsdienstleistungen und Supportverträge rund um ThreadX an oder beabsichtigen, dies zu tun. Dazu gehören Cypherbridge Systems, RTOSX (P5X) und Witekio. Wir werden eine Liste der offiziellen Partner führen.
Parallel dazu haben unsere Mitglieder Zugang zu der Dokumentation und den Artefakten, die die Sicherheitszertifizierungen für ThreadX betreffen. Im Laufe des Jahres werden wir ein kostenpflichtiges Programm für Nicht-Mitglieder einführen. Das bedeutet, dass jeder sicherheitszertifizierte Produkte auf der Grundlage von ThreadX mit geringerem Risiko und kurzer Time to Market entwickeln kann – auch dann, wenn er kein Mitglied der Eclipse Foundation ist.

Die Aufrechterhaltung der verschiedenen Zertifizierungen ist kostenintensiv. Wie gedenkt die Eclipse Foundation, dies zu bewerkstelligen?

Sie haben Recht, es ist kostenintensiv. Da wir eine mitgliederfinanzierte Organisation sind, werden wir einen Teil unserer Mitgliedereinnahmen für die Aufrechterhaltung der Zertifizierungen verwenden.
Die Erlöse aus dem Verkauf der Zertifizierungsdokumentation und der Artefakte an Nicht-Mitglieder werden ebenfalls in zukünftige Zertifizierungen fließen.

Welche IDE ist langfristig als “Referenzumgebung” für ThreadX geplant?

Im Moment gibt es keine bevorzugte IDE für ThreadX. Unsere Repositories enthalten Beispiele für IAR, STM32CubeIDE, MCUXpresso, MPLAB, Visual Studio und Visual Studio Code. Wir bieten auch CMake-Unterstützung, so dass jede IDE, die das unterstützt, ebenfalls funktionieren würde.

Einige der erwähnten Optionen basieren auf der traditionellen Eclipse-IDE, insbesondere auf dem CDT (C Development Tools)-Set von Plugins. Community-Mitglieder, denen C-Entwicklungstools wichtig sind, diskutieren auch darüber, erstklassige C-Unterstützung in die Eclipse Theia IDE zu bringen, eine moderne und offene IDE für Cloud und Desktop. Die Theia IDE basiert auf der Eclipse Theia-Plattform.

Langfristig wird die Gemeinschaft selbst entscheiden, ob sie eine breite Palette von IDEs unterstützen oder einige wenige bevorzugte Optionen auswählen will. Es ist noch zu früh, um zu sehen, wohin die Reise geht, aber ich würde argumentieren, dass die Unterstützung einer breiten Palette von Optionen besser ist, da sie die Einstiegshürde senkt.

Industriekontakte auf der Seite der Chiphersteller fragen mich immer wieder, welche Vorteile eine Mitgliedschaft in der Eclipse Foundation für ein Chiphaus bietet, das “nur” einige wenige Kunden mit ThreadX hat.

ThreadX ist das einzige Open-Source-RTOS auf dem Markt, das für sicherheitskritische Anwendungen zertifiziert ist. Vielleicht haben Ihre Kontakte im Moment nur ein paar Kunden, aber ihre Pipeline wird in den nächsten Monaten wahrscheinlich wachsen.
Eine ausgereifte, qualitativ hochwertige, zertifizierte Alternative ist ein starkes Argument in einem Markt, in dem kommerzielle RTOSe pro Produkt und Stückzahl lizenziert werden. Wenn Kunden bei der RTOS-Lizenzierung sparen, haben sie wahrscheinlich mehr Geld, um in höherwertige SOCs und MCUs zu investieren.

Ist eine Portierung auf RISC/V geplant?

Zum jetzigen Zeitpunkt unterstützt ThreadX RISC-V-Prozessoren von Andes Technology, Cypress und Microsemi. Natürlich gibt es noch viele andere RISC-V-basierte SOCs und MCUs und somit noch viel Arbeit.

Gibt es noch etwas, das wir wissen sollten?

Jeder kann zu Eclipse ThreadX beitragen. Wenn also ein Entwickler bereits damit vertraut ist und Fehlerbehebungen oder neue Funktionen beisteuern möchte, ist er willkommen! Wir werden spezielle Dokumentationsanforderungen für Beiträge haben, da wir die Codebasis zertifizierbar halten müssen. Daran arbeiten wir derzeit.

Zuerst erschienen bei Mikrocontroller.net News

Quelle: Read More